Wirtschaft

IQM

Europas Computerhoffnung

Quantencomputer könnten ganze Branchen revolutionieren und auch den Klimaschutz vorantreiben. Daran tüfteln Google, IBM – und ein deutsch-finnisches Start-up.
Von Alexander Wulfers
Quantencomputer-Herstellung bei IQM in Finnland. Das 2018 gegründete Unternehmen hat gerade viel Geld von internationalen Investoren eingesammelt. IQM

Für seine Start-up-Karriere hat sich Jan Goetz kein leichtes Feld ausgesucht. Der deutsche Physiker ist der Gründer und Vorstandschef von IQM, einem noch sehr jungen Unternehmen mit Sitz in München und im finnischen Espoo, das sich nicht weniger als den heiligen Gral der Computerwelt als Ziel gesetzt hat: Goetz und seine Leute wollen einen kommerziell tragfähigen Quantencomputer bauen.

Quantencomputer, das sind superschnelle Hochleistungsrechner. Sie haben nach Ansicht ihrer Fans das Zeug, ganze Branchen zu revolutionieren und den Klimaschutz voranzutreiben. Das weckt Begehrlichkeiten und ist auch den ganz großen Namen der Tech-Branche nicht entgangen. IQM konkurriert mit Weltkonzernen: Google, IBM, Microsoft, Huawei. Dass man das kleine Start-up trotzdem ernst nehmen sollte, darauf deutet zumindest die am Freitag öffentlich gewordene jüngste Finanzierungsrunde hin. Die Firma hat 128 Millionen Euro eingesammelt, so viel wie kein europäisches Quantencomputerunternehmen zuvor. Hauptinvestor ist World Fund, der größte europäische Wagniskapitalgeber im Klima-Tech-Bereich. Dazu kommt unter anderem ein schon im April angekündigter Risikokredit der Europäischen Investitionsbank in Höhe von 35 Millionen Euro.

IQM ist nach eigenen Angaben das weltweit am schnellsten wachsende Unternehmen für Quantencomputer und der europäische Marktführer im Bau supraleitender Quantencomputer. Das Unternehmen gibt es erst seit 2018. Gründer Jan Goetz war bis dahin nach seiner abgeschlossenen Promotion in Quantentechnologie als Forscher an der finnischen Aalto-Universität tätig. Eigentlich wollte er weiter in der Wissenschaft bleiben. Doch dann zeichnete sich für ihn ab, dass im Quantencomputing nicht mehr Universitäten, sondern Unternehmen die nächsten Durchbrüche erzielen würden, mit indus­triellen Anwendungen statt Grundlagenforschung. So wurde Goetz mit drei anderen Mitstreitern, einer davon sein finnischer Professor, vom Forscher zum Gründer. 2019 kamen die ersten Investoren dazu. Weil IQM in Finnland Zugang zu einer Fertigungslinie in staatlicher Hand bekommen konnte, baute die Firma ihre Quantencomputer von Anfang an dort. Bis heute befindet sich der Hauptsitz des Unternehmens in Espoo.

Auch die EU treibt die Forschung voran

Mehr Industrie und damit mehr potentielle Kunden gibt es dagegen in Deutschland. Deshalb eröffnete das Unternehmen einen zweiten Sitz in München. 2020 folgte eine weitere Finanzierungsrunde im Umfang von 39 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr erhielt IQM zudem 40 Millionen Euro vom deutschen Bundesforschungsministerium, um am Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften einen Quantencomputer zu bauen. Inzwischen hat das Unternehmen in Finnland eine eigene Fertigungslinie, die mehr Kontrolle über den Herstellungsprozess ermöglichen soll. 20 Millionen Euro hat IQM nach eigenen Angaben dafür ausgegeben.

Jan Goetz, 36, ist einer der Gründer von IQM. IQM

Gründer Goetz will die eigene Fertigung nun weiter ausbauen. Ihm kommt dabei zupass, dass die Europäische Union gerade mit dem „European Chips Act“ ein Gesetz verabschiedet hat, das den Tech-Standort Europa stärken soll und dabei auch explizit das Stichwort „Quantum“ nennt. Es dürfte also weiterhin öffentliches Fördergeld in die Branche fließen. Heute hat IQM mehr als 180 Mitarbeiter, etwa 50 davon in München. Weitere Büros sind in Madrid und Paris entstanden.

Warum aber knüpfen sich so große Erwartungen an die Quantencomputer? Das ist leicht zu verstehen. Herkömmliche Computer setzen sich aus Milliarden von Transistoren zusammen, die jeweils ein- oder ausgeschaltet sein können, also einen Wert von 1 oder 0 annehmen. Das entspricht dann einem Bit. Quantencomputer basieren stattdessen auf sogenannten Qubits, die nicht nur an oder aus sein, sondern auch viele Zwischenstufen annehmen können. Das klingt nicht nach einem großen Unterschied. Es führt aber dazu, dass viel weniger Qubits als Bits benötigt werden, um die gleiche Menge an Informationen zu speichern, und zwar exponentiell weniger. Bei herkömmlichen Computern muss man für eine Verdopplung der Rechenleistung auch die Bits verdoppeln. In Quantencomputern verdoppelt sich die Rechenleistung dagegen mit jedem zusätzlichen Qubit. Je mehr Qubits zusammengeschaltet werden, desto größer ist der Vorteil zum konventionellen Rechner. So können Quantencomputer potentiell sehr viel effizienter Berechnungen anstellen, als es heute möglich ist. Nur dass sie noch Jahre von der Marktreife entfernt sind.

Eine interessante Technologie für viele Branchen

Dabei ist die Theorie dahinter schon Jahrzehnte alt. Lange kam man nicht über Experimente an Universitäten hinaus. Inzwischen haben technologische Fortschritte das verändert. Google verkündete im Jahr 2019, es habe die sogenannte Quantenüberlegenheit erreicht, also einen Quantencomputer eine Aufgabe schneller lösen lassen, als es ein herkömmlicher Computer könnte. Google behauptete damals, der Quantencomputer habe nur 200 Sekunden für eine Aufgabe gebraucht, für die ein konventioneller Rechner Jahrtausende gebraucht hätte. Skeptiker des Konkurrenten IBM vermuteten, ein klassischer Supercomputer würde höchstens zweieinhalb Tage dafür benötigen. Dennoch war damit ein wichtiger Durchbruch gelungen.

Nun sollte man nicht damit rechnen, dass in der nächsten oder übernächsten Smartphone-Generation schon Qubits stecken. Goetz erklärt: „Es wird auch in naher Zukunft nicht so sein, dass wir Quantencomputer mit uns herumtragen. Wenn ich von München nach Nürnberg fahre, berechnet Google Maps auch nicht auf meinem Handy die Fahrtroute, sondern das Handy kommuniziert mit einem Rechenzentrum. So ähnlich wird das auch bei Quantencomputern sein.“

Die neue Rechen-Power, sofern sie denn in einigen Jahren wirklich entfesselt werden sollte, ist für viele Branchen interessant. Denn die Welt um uns herum ist so komplex, dass herkömmliche Computer nicht mithalten können. Der Quantenphysiker Richard Feynman schrieb dazu schon in den Achtzigerjahren: „Die Natur ist nicht klassisch, verdammt, und wenn du eine Simulation der Natur machen willst, solltest du sie besser quantenmechanisch machen.“

Strom sparen durch Quantencomputer?

Goetz bemüht sich derweil, den Hype im Zaum zu halten. Er kritisiert dabei auch manche Wettbewerber. „Man sollte keine falsche Erwartungshaltung wecken, dass Quantencomputer alle Probleme der Welt viel schneller lösen werden“, sagt er. „Es gibt nur einen gewissen Satz an Pro­blemen, bei denen Quantencomputer theoretisch helfen können.“

Insbesondere in der chemischen Indus­trie verspricht man sich von Quantencomputern sehr viel. Chemische Prozesse, zum Beispiel in neuartigen Batterien, sind für herkömmliche Computer zu komplex zu simulieren. Banken und Versicherungen hoffen, dass sich mit Quantencomputern Bewegungen an den Finanzmärkten besser modellieren lassen. Auch die Automobilbranche hat Interesse. Schließlich ist auch der Straßenverkehr eine hochkomplexe Angelegenheit. Der Durchbruch beim selbstfahrenden Auto könnte mithilfe von Quantencomputern stattfinden.

Hochmoderne Technologien, die auch so aussehen IQM

Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet in ihrem „Quantum Technology Monitor“ damit, dass die Pharma-, Chemie-, Automobil- und Finanzbranche zu den ersten Profiteuren der neuen Technik gehören werden. McKinsey hält eine Wertschöpfung von 700 Milliarden Dollar bis 2035 für möglich.

Wenn das klappt, könnten Quantencomputer auch ein wichtiges Puzzlestück für die Dekarbonisierung der Wirtschaft werden. Nicht nur, weil sie herkömmliche Rechenzentren ersetzen und mit ihrer Effizienz eine Menge Strom sparen könnten. McKinsey schätzt, dass bis 2035 Quantencomputer dabei helfen könnten, 7 Gigatonnen Kohlendioxid im Jahr einzusparen. Wichtige Bausteine dafür sind die Verbesserung der Effizienz von Batterien und Solarzellen, klimafreundliche Lösungen für die Zementherstellung, effizientere Gewinnung von Wasserstoff und die Herstellung von grünem Ammoniak als Treibstoff für Schiffe. All diese Anwendungsfelder basieren auf chemischen Prozessen, die Forscher mit herkömmlichen Computern nur unzureichend verstehen können.

IQM kann noch aufholen

Bis es so weit ist, muss die Qubit-Zahl in den Quantencomputern weiter steigen. IQM-Gründer Jan Goetz rechnet damit, dass für die Industrie ab „ein paar hundert Qubits“ relevante Anwendungen möglich werden. In Finnland baut IQM derzeit einen 54-Qubit-Computer. Bisher verfügt das Unternehmen über ein System mit 20 Qubits. Die Hoffnung ist, dass es alle 12 bis 18 Monate gelingt, die Zahl der Qubits im Rechner zu verdoppeln. Dann könnte, glaubt Goetz, in drei bis fünf Jahren der Punkt erreicht sein, an dem es „für die Industrie richtig interessant“ wird.

Die großen Konkurrenten von IQM sind ein bisschen weiter. Aber wenn man auf den von Goetz beschriebenen Pfad vertraut, sind sie nicht uneinholbar weit weg. IBM hat im vergangenen Jahr den 127-Qubit-Prozessor „Eagle“ vorgestellt. Bis 2023 wollen die Amerikaner die Grenze von 1000 Qubits durchbrechen. Google hat schon 2018 ein 72-Qubit-System entwickelt und will bis Ende des Jahrzehnts einen „voll funktionsfähigen“ kommerziell einsatzfähigen Quantencomputer bauen.

Am Geld dürfte der Fortschritt in der Quantenwelt nicht scheitern. McKinsey zufolge hat sich die weltweite Förderung für Quantum-Start-ups zuletzt jährlich verdoppelt. Zwischen 2020 und 2021 stieg sie von 700 Millionen auf 1,4 Milliarden Dollar. Schon eher zum Nadelöhr werden könnte der Fachkräftemangel, befürchten die Analysten. Im Dezember 2021 gab es 851 offene Stellen mit einem Bezug zum Quantencomputing, aber nur 290 Universitätsabsolventen in Quantentechnologie.

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